Das Landgericht (LG) München I verurteilte ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Siemens AG zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 15 Mio. EUR. Den Grund für die Schadensersatzpflicht des Ex-Vorstands sah das Gericht direkt in seinem Organisationsverschulden. Er hätte es versäumt, ein funktionierendes Compliance-System für seinen Aufgabenbereich zu etablieren.Neubürger-Urteil schafft Präzendenzfall - Persönliche Haftung ausgeweitetDas sog. „Neubürger-Urteil“ ist deswegen interessant, weil es einen Präzedenzfall darstellt. Zum ersten Mal wurde ein Vorstandsmitglied eines deutschen Unternehmens von einem deutschen Gericht wegen Organisationsverschuldens zu einem derart hohen Schadensersatz verurteilt. Damit verdeutlicht das Urteil, neben straf- und ordnungsrechtlichen Aspekten, auch die zivilrechtliche Tragweite bei Compliance-Verstößen. Grundsätzlich kann es automatisch zu einer Pflichtverletzung des Vorstands führen, wenn ein Compliance-System ungenügend aufgebaut ist – also bspw. nicht ausreichend Überwachungs- und Kontrollelemente enthält – oder auf ein Compliance-System komplett verzichtet wird. Auch mangelnde Aufklärungsbereitschaft kann eine Pflichtverletzung darstellen. Wie nun durch das „Neubürger-Urteil“ ersichtlich wird, kann ein Vorstand direkt zivilrechtlich für einen Compliance-Verstoß haftbar gemacht werden, wenn es zu tatsächlichen Gesetzesverstößen im Unternehmen kommt. Er macht sich zwar möglicherweise nicht strafbar (im vorliegenden Fall ging es um angebliche Korruptionszahlungen und schwarze Kassen, also Bestechung bzw. Bestechlichkeit), kann aber dafür verantwortlich gemacht werden, dass er kein ausreichendes System etabliert hat, das solche Verstöße effektiv zu verhindern versucht bzw. verhindern kann, vgl. § 91 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG).Dem betroffenen Unternehmen steht dann ein Schadensersatzanspruch zu. Daneben besteht für das Unternehmen auch das Risiko eines Bußgeldes von bis zu 1 Mio. EUR, wenn die Pflichtverletzung mit Strafe bedroht ist, § 130 Abs. 3 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG).