Einschränkungen bei Aufrechnung in der Insolvenz
Beachtenswerte Entscheidung des BGH sowohl zum Bau- als auch zum Insolvenzrecht
Sachverhalt
Der Auftraggeber (AG) und der Bauunternehmer (U) schlossen in 2017 für zwei unterschiedliche Bauvorhaben zwei Bauverträge über die Erbringung von Metallarbeiten. Nachdem U am 06.02.2018 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, kündigte der AG wegen dieses Insolvenzantrags am 09.03.2018 beide Verträge unter Berufung auf den jeweils vertraglich einbezogenen § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B und nahm anschließend jeweils die erbrachten Teilleistungen ab. Am 01.05.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des U eröffnet. Der Insolvenzverwalter über das Vermögen des U verlangte vom AG aus einem der Bauverträge noch eine offene Restvergütung i.H.v. 173.000 €. Hiergegen versuchte der AG erfolglos mit einem (streitigen) Schadensersatzanspruch gem. § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B aus dem zweiten, anderen Bauvertrag i.H.v. 383.000 € aufzurechnen.
Entscheidung
Der IX. Zivilsenat des BGH erklärte mit Urteil vom 19.10.2023 (AZ: IX ZR 249/22) die Aufrechnung des AG aus insolvenzrechtlichen Gründen für unzulässig. Isolierter Gegenstand der Anfechtung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO i. V. m. § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO sei das Herstellen der Aufrechnungslage. Als anfechtbare Rechtshandlung komme jede Handlung in Betracht, die zum Entstehen der Aufrechnungslage führe, insbesondere die Kündigung eines Vertrags. Durch die in Kenntnis des von U gestellten Insolvenzantrags erklärte Kündigung stellte der AG erst eine Aufrechnungslage mit etwaigen Gegenforderungen aus § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B her, wodurch die Voraussetzungen von § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO vorliegen. Diese Entscheidung erscheint im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BGH für einige überraschend. Einerseits hatte der BGH bereits mehrfach, zuletzt 2022 die Wirksamkeit von § 8 Abs. 2 VOB/B als insolvenzabhängige Lösungsklausel bei Bauverträgen bestätigt (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – VII ZR 56/15, Urteil vom 27. Oktober 2022 – IX ZR 213/21). Wegen des gesetzlich eigentlich vorgesehenen Privilegs des Insolvenzverwalters, entscheiden zu dürfen, ob er an einem Vertrag festhalten möchte und Erfüllung wählt (§§ 103 InsO) sind bei vielen anderen Vertragsarten Lösungsklauseln wegen Insolvenz des anderen Vertragspartners unzulässig (119 InsO).
Andererseits hatte der VII. Zivilsenat des BGH innerhalb ein und desselben Vertrages die Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B nach einer insolvenzbedingten Kündigung des Auftraggebers gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B bereits zugelassen.
Bei denselben Vertragsparteien aber zwei unabhängig voneinander geschlossenen Bauverträgen verneint nun der für Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des BGH ausdrücklich die Zulässigkeit einer solchen Aufrechnung, auch wenn die Kündigung selbst wirksam gewesen sei.
Praxishinweis
Aufgrund von Andeutungen des für Insolvenzrecht zuständigen IX. Zivilsenats des BGH in seiner neuesten Entscheidung ist zu befürchten, dass künftig auch die Aufrechnungsmöglichkeit innerhalb ein und desselben Vertrages aus insolvenzrechtlichen Gründen für unzulässig eingestuft wird.
Auch wenn wir dies innerhalb des Wechselwirkungsverhältnisses eines einzigen Vertrages (Synallagma) für dogmatisch falsch halten, sollten Sie dieses potentielle Risiko künftig vor jeder insolvenzbedingten Kündigungserklärung vorsorglich einkalkulieren und prüfen lassen.
Dass das Insolvenzrecht in der Geschäftswelt häufig als ungerecht empfunden wird, ist bekannt. Die insolvenzrechtliche Anfechtung und das Erfordernis einer Rückzahlung an den Insolvenzverwalter bei einer mühevoll vor Gericht erstrittenen und später im Wege der Zwangsvollstreckung beigetriebenen Forderung erschließt sich einem Geschäftsführer nicht wirklich. Diese ungerechte Tendenz setzt sich hier fort. Der Insolvenzverwalter bekommt durch die Insolvenzverwalter-freundliche Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH mehr in die Masse, als es das insolvente Schuldnerunternehmen ohne Insolvenz jemals bekommen hätte.
Das Bau- und Insolvenzrechtsteam von MKM + PARTNER unterstützt Sie insoweit gerne!
Autor: Burkhard Krecichwost